Dienstag, 26. Januar 2010

Täter und Opfer

So lange nun habe ich mich schon nicht mehr gemeldet, nicht, weil es nicht zu erzählen gab, vielmehr liegt der Hund in meiner Faulheit und dem mangelnden Mitteilungsbedürfnis begraben. Des Weiteren resigniere ich über die Dürftigkeit an Praktikumsplätzen, über das Wetter und über meinen Masochismus mir all das anzutun was ich so schwer verkrafte.
Der Tod ist mein ständiger Begleiter könnte man so sagen. Lange hielt ich Abstand von den zwei Weltkriegen, literarisch wie auch filmisch, doch nun überkommt es mich und ich kann nicht aufhören. Quäle mich momentan durch „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell. Das Verbrechen an den Juden und weiteren „Nicht-Ariern“ wird aus der Sicht des Täters ohne jegliche Reue geschildert, so detailliert, dass ich mich selbst an den Massengräbern wieder finde und mir die Hirnmasse der Getöteten ins Gesicht spritzt. Tötungsmaschine Mensch – wie grausam waren und sind wir? Was geht in den Köpfen all jener vor? Könnte auch ich in eine Art Blutrausch geraten, wenn es von mir verlangt wird? Wäre ich in der Lage all mein Menschsein abzustreifen und das auszuführen was wider jeglicher Vernunft und Moral liegt? Man kann diese Fragen nicht hundertprozentig mit „Nein“ beantworten, es wäre schlichtweg gelogen.
Das andere Buch ist eine Biographie über Manfred von Richthofen – da fühle ich mich nicht so hinein und dennoch ist das Grauen nicht minder groß. Anlass für die Biographie war der Film, den ich mir vor kurzem angeschaut habe und dort wurde eben jener junge Mann so tugendhaft dargestellt, dass ich das nicht glauben konnte. Nun tun wir Deutschen uns schwer mit Helden, wegen der kollektiven Schuld am Zweiten Weltkrieg und dem daraus resultierenden Trauma. Wir getrauen uns nicht so etwas wie Stolz zu empfinden, wie auch immer man das interpretieren mag. Nun gibt es in der Geschichte viele Kriegshelden, doch darf es auch deutsche Helden geben? Sind nicht ALLE Täter und Opfer zugleich? Wo zieht man da die Grenze? Ich denke es ist ein ethisches Problem. Was ich ausdrücken möchte: Wenn jemand im Krieg geehrt wird, weil er dieses oder jenes erreicht hat, wer fragt dann nach den Opfern? Und hat sich der stilisierte Held wirklich immer so ehrenhaft verhalten, dass er in die Geschichte eingehen darf? Bin ich die Einzige, die sich darüber Gedanken macht? Das geht einem wirklich an die Substanz. Dieser verdammte Zwang Dinge zu lesen, welche mich schlecht träumen lassen, die ich nie ganz abschütteln kann, immer im Hinterkopf bleiben! Mein Freund zeigt da wenig Begeisterung, doch auf seine Frage, warum ich das lese, wenn es mich verrückt macht, kann ich nur eine Antwort geben: Ich muss. Irgendetwas treibt mich…denke die Ursache dafür liegt in meiner Kindheit. Schon mit 10/12 Jahren habe ich Bücher gelesen, welche nicht wirklich geeignet waren. Beispielsweise „Die toten Engel“ von Wilfried Bruckner oder „Die letzten Kinder von Schewenborn“ von Gudrun Pausewang. Geht es bei der einen Geschichte um die Kinder im Wahrschauer Ghetto und in der Anderen über die Folgen eines Nuklearanschlags, so siegt doch am Ende der Tod über das Leben. Ich habe damals geheult und geflucht, nun mit 27 heule und fluche ich immer noch.
Aber ich bin nicht gänzlich von der Außenwelt abgeschnitten, nehme am realen Leben teil. Auch dort kann einem das Grauen kommen. Zum Beispiel Haiti. Vorweg: es ist furchtbar was dort geschehen ist. Doch die geheuchelte Solidarität ekelt mich an. Müssen immer erst Naturkatastrophen geschehen, damit das Augenmerk auf eine bestimmte Region gerichtet wird? Denn katastrophal ist die Situation in diesem Land schon seit Jahren. Aufwachen Leute! Denkt ihr wirklich, dies sei das einzig Schreckliche? Fragt mal die Menschen in Nordkorea, Somalia, Kongo, Liberia etc. – da verhungern täglich hunderte, werden vergewaltigt, verschleppt, getötet, erleben den Tod der Seele, weil das Grauen unerträglich ist. Wen kümmert das? Wo ist da das Mitgefühl? In einer Woche wird das Thema Haiti aus den Medien verschwunden sein, dann aus dem Bewusstsein der Menschen und alles bleibt wie gehabt. Darin liegt die Perversität unserer Gattung – an der Gleichgültigkeit. Und auch ich schließe mich da nicht aus.
Damit will ich dieses Kapitel schließen und ein neues aufschlagen: Mein Wochenende.
Ja es war mal wieder ein Mix aus allem. Freitagabend hieß es erst einmal arbeiten. War teilweise ein wenig überfordert mit der Situation. Wenn fast 50 Leute zeitgleich zahlen wollen, dann dauert das seine Zeit und die Menschen haben keine mehr. Ziemlich geschafft bin ich dann in die Neustadt zur Dorfdisko. Knackenvoll war Laden. Die Städter scheinen darauf abzufahren. Wie auch immer, ich rein, mit mäßiger Laune und die Erkenntnis, dass alle mir mindestens fünf Bier voraus waren machte sie nicht besser. Erst mit dem flüssigen Gold, war auch ich in der Lage die musikalischen Verbrechen 90er zu ertragen. War am Ende doch ganz lustig und wir sind erst zu einer Zeit nach Hause, in der ich unter Umständen schon wieder auf den Weg zu Arbeit bin. Der Samstag verlief dann eher schleppend. Abends Kneipe und Kopfschütteln über die Dummheiten anderer (hey ich trinke als Mutprobe mal Spülmittel) und Sonntag wurde es kulturell. Wir gingen abends ins Schauspielhaus wo Jan Plewka die guten alten Ton Steine Scherben Songs zum Besten gab. Und das war wirklich gut. Selten hat mir ein Konzert so gefallen.
Da saßen sie nun, die Wohlsituierten Bürgerinnen und Bürger und hörten sich antikapitalistische Lieder an – verrückt diese Welt.

the devil felt ashamed i never thought he would
i saw him keep on practicing until this endless morning ends
he's lost the silver spoon he kept it in his hand
i think we're leaving soon me and my shadow shaped
today we take the whole way to the moon
(Blackmail: Me and My Shadows)